Cool

Dragomir liebte die Kälte. Er war so besessen von ihr, dass er die ehemalige Kühlkammer eines Hotels bewohnte und die Wände wie ein Iglu mit Schneequadern ausgekleidet hatte. Der Flatscreen hing hinter einem Eisblock und lief ununterbrochen. Selbstverständlich lief ausnahmslos Sky Ice. Pinguine, Eisbären und Inuit jagten sich dort unablässig gegenseitig und Schneestürme fegten über Eisgebirge und Gletscher. Dragomir fand das äusserst spannend und wenn er sah, dass Blut floss und augenblicklich zu roten Schollen gefror, lief ihm ein wohliger kalter Schauer den Rücken hinunter. Dann griff er genüsslich in die Minibar neben seinem Bett und lutschte einen Whiskywürfel. Selbstverständlich war auch sein Bett standesgemäß. Da Dragomir nur knapp über einen Meter zwanzig gross war, passte er sehr gut in seine Tiefkühltruhe.
Auch den Arbeitsplatz hatte er seinen Neigungen gemäß bestens gewählt.
Er arbeitete als Säger bei Iglu und schnitt Tag für Tag Fischklötze mit seiner Kettensäge in die richtige Verpackungsgrösse.
Wären da nicht der Sommer in Deutschland und der lästig schwüle Weg von und zur Arbeit, der ihn täglich fast rasend machte, hätte er der glücklichste Mensch auf Erden sein können. Fast. Denn seinen heimlichen Traum vom Leben in der Arktis konnte er sich mangels seiner finanziellen Möglichkeiten nicht verwirklichen. Vielleicht hätte er es ja in ein paar Jährchen doch noch schaffen können, doch eines Nachts fiel im Hotel für ein paar Stunden der Strom aus. Das Schmelzwasser tropfte von der Decke und gefror kurz darauf , als der Fehler behoben und die Elektrizität wieder eingeschaltet wurde. Der Deckel war am Morgen so fest mit seiner Betttruhe zusammengeklebt, dass er ihn nicht mehr aufbekam. Der Hotelbesitzer fand ihn erst eine Woche später, nachdem Iglu wegen des unentschuldigten Fernbleibens seines Mitarbeiters angerufen hatte. Durch den Spion in der Kühlkammertüre sah man nichts, der Raum schien verlassen. Doch da Dragomir ein ordentlicher Mensch war, der täglich sein Bett lüftete, hätte der geschlossene Truhendeckel eigentlich schon vorher dem Hotelpersonal auffallen müssen. Allerdings wurden die polizeilichen Untersuchungen bald eingestellt, da der Pathologe bei der Untersuchung des Leichnams etwa dreissig noch halbgefrorene Wiskywürfel im Verdaungstrakt des Verstorbenen fand.
Der Erstickungstod war demzufolge also nur ein Coolateralschaden und es gab auch sonst keinerlei Hinweise auf Gewalteinwirkung.
Die Lokalpresse, die anfangs mit der Überschrift: "Der Kühlschrankmörder. Eisiges Verbrechen mitten im Hochsommer!" reisserische Töne angeschlagen hatte, dementierte am darauffolgenden Tag mit den Worten:" Mordverdacht abgekühlt. Indizien schmelzen dahin wie Whisky on the Rocks."