Der Aufstand der Cocktailtomaten

 

 

 

 

 Der Unmut der Cocktailtomaten wuchs von Woche zu Woche. Noch immer hatten die Limousinen keinen Aussenspiegel verstellt, um ihnen in der Sache entgegenzukommen. Generationen hatten klaglos hingenommen, dass skrupellose Fleischtomaten sie in den Regalen verhöhnt hatten. Zwerg vom Berg, die alte Kartoffel mit den kleinen Äuglein, hatte letztendlich den Anstoß zu der Revolte gegeben.
" Was lasst ihr euch eigentlich gefallen?" hatte sie gefragt, " Schaut mich an! Seit ich in der Auslage liege, werden die dicken Kartoffeln ganz runzelig vor Ärger, weil mein Preisschild mit höheren Zahlen prahlt, als ihre und sie unter mir in ihren Säcken auf dem Boden vergeblich mit lüsternen Stilaugen nach Hausfrauenhänden schielen, die sie aus ihrem Netz befreien. Auch ihr solltet stolz sein und euch nicht alles gefallen lassen! Schliesslich seid auch ihr beliebter und knackiger als diese neidischen aufgeblähten Monsterbacken."
Zuerst dachten die Cocktailtomaten sie hättten geträumt oder der krumme Pommesspender wolle sie nur verarschen. Doch dann begannen sie nachzudenken und erkannten, dass die Idee gar nicht so unterirdisch war. Der Kerl war wirklich nicht durchgeknallt.
Auch sie waren diesen unverschämten Dickerchen überlegen. Schliesslich wurden sie viel mehr gekauft und standen über ihnen im Gemüseregal. Ausserdem schienen sie wertvoller zu sein, denn sie waren allesamt in stabilen sauberen Schälchen und einer extra Schutzfolie verpackt. Die Fleischtomaten hingegen mussten andauernd den Geruch des nach übelster Mittelmässigkeit stinkenden Krauts neben ihnen aushalten.
Das "Hach, schaut mal da oben gammeln die Magerlinge!" oder " Die haben wohl mit Kirschen geknutscht, die lahmen Mickerlinge!" konnte nur die pure Eifersucht sein.
Zuerst versuchten die etwas aufmüpfigeren Biotomaten sich beim Verkaufspersonal zu beschweren und verlangten lautstark an einen anderen Platz gestellt zu werden. Doch die Limousinen fuhren mit ihren zweibeinigen Greifern gitterratternd und räderschlackernd vorbei und taten scheinheilig so, als könnten sie sie nicht hören.
Von wegen " Wir lieben Lebensmittel"!
Denen waren sie doch so egal wie dem Preisschild die Kassenabrechnung.

Es war fast Mittenacht, als sie ihren Plan in die Tat umsetzten. Beim heiligen Sankt Ketchup, die Welt sollte erfahren, zu was Cocktailtomaten imstande wären! Sie würden in die Geschichte eingehen als Speerspitze für fundamentale Gemüserechte. Sie würden die Kompassnadel für alle gequetschten, ungekühlten, angedatschten, verschimmelten, achtlos in die Tonne geklopften und unterbezahlten Frischgemüse sein. "Nieder mit den Monstertomaten!" riefen sie, "Gurken, türmt die Regale!" und " Wer die Schalen nicht ehrt, ist der Taschen nicht wert!"
Sie steigerten sich so in ihren unbändigen Gerechtigkeitshunger, dass sie in ihren Schalen anfingen zu hüpfen. Eine nach der anderen ließ sich anstecken, bis vor lauter Begeisterung das Regal zu vibrieren begann. Die Schalendeckel knatterten und den Fleischtomaten wurde ganz faulig bang.
" Hätten sie doch nur nicht ..." dachten sie noch, da war es schon fast um sie geschehen.
 Die erste Schale sprang über die Klippe und landete " FUMP " auf Matscha, der reifsten und vorlautesten von ihnen. Weit spritzte der Saft und bevor sie ihr Klagelied über den Verlust von Matscha anstimmen konnten, fielen sie einer wahren Flut von Plastikbomben zum Opfer. Eine nach der anderen sprang von tobenden Minitomaten angetrieben über den Rand ihrer Kiste todesmutig in die Tiefe. Unerbittlich und gnadenlos zermatschten sie mit vereinten Kräften ihre Peiniger.
Als der Morgen graute und die erste Putzfrau ungläubig die noch schlaftrunkenen Augen rieb, als sie die Bescherung entdeckte, war das letzte Blut der fleischigen Mobbingtomaten schon am Boden angetrocknet.
Das der Cockies war wieder abgekühlt und sie schliefen erschöpft den Schlaf der Gerechten.
Seither sind die Großmäuler in den Regalen vorgewarnt und selbst die Limousinenschieber sagen zu ihren Kindern: " Du bist mir so ein Früchtchen!"