Das Küchenmesser

 

 

Unschuldig lag das Küchenmesser da. So unschuldig! Als könne es keinem zarten Gemüse etwas zu Leide tun. Als wäre es nicht scharf darauf, zur Abwechslung auch einmal durch etwas richtig Lebendiges zu gleiten. Ganz langsam und filigran. Mit der ganzen Schneide das ängstlich erwartungsvolle Zusammenziehen und Ausweichen des Gewebes schon Millimeter vor dem Einschneiden zu spüren. Das Pulsieren des Blutes beim Durchtrennen der Gefäße. Die angenehme Hitze, die es umschloss. Einen Vorteil haben lebende Eiweißgebilde. Sie heizen. Ihre Angst wird durch die Hitze am kalten Stahl überdeutlich spürbar. Wenn es überhaupt eine Wolllust im Leben eines gemeinen Küchenmessers gab, dann dies. Nicht jedes Messer hatte das Glück zufällig in einem Kriegsgebiet oder einem Schlachthof seine Dienst verrichten zu dürfen.

Schon lange hegte das Messer solche Wünsche. Seit dieser feiste Küchenbulle es einmal mit in die Vorratskammer genommen hatte, um dort... aber halt, das ist eine andere Geschichte. Und ausserdem war das nichts Lebendiges gewesen, sondern nur ein Fetzchen Stoff. Allerdings direkt an dermaßen lebendigem und drallen Fleisch, dass die bloße Ahnung das arme Küchenmesser seit damals immer wieder in die gleiche Aufregung versetzte. Man könnte sagen, dass dieses richtungsweisende Erlebnis dem vorher mit seinem Schicksal eigentlich zufriedene Küchenutensil eine neue Bestimmung gab.
Adäquat zur sprunghaften Entwicklung von Genie und Eigensinn der zappeligen Eiweißgebilde namens Mensch, wirkte die Vergeblichkeit der Sehnsüchte auch hier eher stimulierend. Je einfacher das Gemüt, desto wirksamer und folgenschwerer sind in der Regel die Impulse. Dass es ein kompliziertes Gemüt habe, wollte das Küchenmesser nicht unbedingt behaupten. Im Gegenteil. Es war stolz auf seine Schlichtheit. Ihn interessierten keine tiefenpsychologischen oder gar lösungsorientierten Diskussionen über Tunten, ob Rossi zum X-ten Male Motorrad-Weltmeister wurde, ging ihm glatt an den Griffmulden vorbei. Ob Quarks oder Laser für seine Schärfe zuständig waren oder Griechenland insolvent war, erschien ihm weniger als Wurst. Und das war schon ziemlich wenig. Im Gegensatz zu Tomate und holziger Kohlrabi zumindest. Es wollte schlicht und einfach nur schneiden! Wozu sonst war es scharf?
Nichtsdestotrotz zwang es die Eintönigkeit des Tages und die sinnentleerten Nächte in immer der selben Schublade des Nachts nach Wesentlichem zu suchen. Auch hier diente, wie so oft der Mangel als unangenehme aber notwendige Vorstufe der Fülle.
Nun ja, diese kümmerliche Gemüseschnitzerei wäre nun bald vergangen und vergessen. Das Messer würde Wetzstein und Saubein wetten, dass es zu keiner Sonnenwende mehr käme, bis das etwas aufregendere Leben endlich für es begänne.
Der Neue war zwar ein Prolet, er ließ es immer wieder ungeputzt und stumpf auf der Anrichte liegen und wischte es am Morgen nur Kurz an seiner speckigen Schürze ab. Doch eine sich wiederholende Kleinigkeit ließ das Küchenmesser hoffen, dass seine Sehnsüchte bald gestillt würden: Jedesmal wenn der Chef brüllte, krampfte sich die Hand des Neuen wie ein Schraubstock um den Griff und begann zu zittern. Je länger und lauter der Chef brüllte, umso stärker der Druck. Der Blick des Neuen senkte sich dabei immer tiefer und immer öfter auf die glänzende Schneide und der hasserfüllte, irre Blick konnte sich erst nach und nach wieder von ihr lösen. Meist erst nach einer unendlichen Folge unterirdischer Flüche, die er zwar leise in den Bart murmelte, doch deren Bösartigkeit das Messer vor Vorfreude auf das bald bevorstehende Abenteuer aufgeregt vibrieren liessen.
Dass das arme Messer danach nie wieder eine Tomate, geschweige denn ein saftiges Stück Fleisch zu schneiden bekäme, ahnte es nicht. Es hätte dies wahrscheinlich, wie auch die Einzelhaft in der Reservatenkammer angesichts der so lange ersehnten Bereicherung und Erregung aber gerne in Kauf genommen. Alles schien ihm besser und sinnvoller, als das langweilige Leben, das es bisher fristen musste.