Trauerblut

 

Es ist Nacht. Schatten zwischen vereinzelten Laternen und aufgeheizten Häuserwänden wecken meine Phantasie. Gedanken an Dich kriechen wie Spinnen durch mein dunkles Gemüt. Wo ihre haarigen Beine die klebrigen Fäden meines Trauerflors berühren, beginnen sie zu zittern und schwach zu leuchten. Eben noch spürte ich deinen heißen Atem an meinem Hals, versank in deinem Tönen, schwamm im süßen Schweiß unserer Lust. dann wechselt die Szene abrupt und ich erstarre in deinem gebrochenen Blick. Höre wieder das Kreischen der Bremsen, spüre den Split unter den Reifen, den Aufprall am Baum. Obwohl ich es heute weiß, frage ich mich, wo diese Lichter auf der Uferstraße plötzlich herkamen. Höre deinen Schrei. Reiße das Steuer noch einmal nach rechts, weil links dreißig Meter tiefer die Wellen an die Felsen schlagen und erwache in gleißendem Licht.

Über mir erstaunt und erschrocken blickende Augen über grünen Atemmasken, hektische Befehle in einer fremden Sprache, spüre einen Stich und versinke augenblicklich in einem Meer aus bunter Watte.

Seit ich aus der kroatischen Klinik entlassen bin, die Ärzte wunderten sich über meine rasche Heilung, irre ich Nacht für Nacht durch Rovinj´s Altstadtgassen, weil ich nicht mehr schlafen will.

Denn sobald ich die Lider schließe stehen die grausamen Bilder wieder vor meinem inneren Auge, ich ersticke fast an dem Kloß in meinem Hals und zwei kleine rote Narben hinter meinem Ohr fangen teuflisch an zu jucken.

Nach Hause fahren will ich auch nicht, obwohl der Blechschaden an unserem Auto längst repariert ist. Man sieht nicht mehr die kleinste Schramme, doch in unsere Wohnung will und kann ich nicht mehr zurück.

Nicht nur, weil jedes Detail mich an dich erinnern würde, sondern wegen der Gefahr, die ich nun für all unsere Freunde bin.

Anfangs wunderte ich mich, dass ich in der Klinik keinerlei Hunger verspürte, bis sich diese gespenstisch schöne Nachtschwester nach Mitternacht an mein Bett setzte und mich ihren Bruder nannte. Sie berührte die kleinen Stellen an meinem Hals, die augenblicklich wie Feuer zu brennen anfingen. Das Herz blieb mir für Sekunden stehen als ich es begriff.

Ich begann hysterisch zu lachen, denn in dem Moment erinnerte ich mich an unseren letzten gemeinsamen Orgasmus vor der Reise, deinen zarten Biss in mein Ohrläppchen und den spöttischen Seitenblick beim Frühstück mit Karla, die uns mit verträumten Augen von ihrem letzen Wochenende erzählte.

Hörte, wie du mit verzücktem Lächeln sagtest, dass Vampire keine Räkelseminare oder sonstigen Lustbeschleuniger bräuchten.

Kurz erschrecke ich bei diesen Bildern. Solltest etwa Du....? Nein, dann wärest Du ja nicht tot.

Wärst noch an meiner Seite.Vielleicht hast Du nur schon etwas geahnt.

Als sie die aufsteigenden Tränen in meinen Augenwinkeln sah, versuchte mich die seltsame Schwester zu beruhigen, beugte sich vor und flüsterte mir mit heiserer Stimme ins Ohr, dass dieser Zustand bald vorbei wäre, die Trauer bald verflossen und ich die köstlichste aller Lüste bald genießen könne. Im Moment hätte ich nur keinen Hunger, kein Verlangen, weil die vielen Blutkonserven noch eine ganze Weile vorhielten. Allergie gegen andere Blutgruppen bräuchte ich jedenfalls nicht mehr zu fürchten. Sie entblößte kichernd ihre Zähne und leckte sich genüsslich darüber, dann verließ sie mein Zimmer und ließ mich mit meinem Grauen alleine.

 

Heute sind genau drei Wochen vergangen. Ich streife nicht mehr durch die nächtlichen Gassen, um den grausamen Bildern zu entgehen, sondern weil ich spüre, dass sie nachlassen. dass ich den Blick immer öfter auf den Hals der ängstlich Vorbeieilenden richte. Suche die Plätze auf, an denen wir uns geküsst, zusammen gelacht, gegessen haben und versuche dich in mir lebendig zu erhalten.

Noch gelingt mir das, doch ich spüre, die nächste verhängnisvolle Nacht meines Lebens kommt immer näher und ich wünschte, ich wäre noch an deiner Seite. Dort, wo du jetzt bist.