Unwohlfeil

 

Voller Hoffnung bog sich die rostige Nagelfeile so weit nach oben, wie sie es nur vermochte. Der zartgliedrigen Hand entgegen, die suchend in der Handtasche wühlte und der sie so lang schon nicht mehr an die Nägel durfte. Seit dem Tag, als dieses ekelhaft glatte Etui zu ihm und den anderen Utensilien gefallen war, fristete sie ein einsames dunkles.Leben. Hatte sie mittlerweile die Hoffnung fast aufgegeben. War in eine immerwährende Duldungsstarre gefallen. Wenn sie an früher dachte, als Sie sie noch täglich mehrmals beehrte und sie mit eleganten Bewegungen fast zärtlich über ihre Nägel führte, fast als ob sie Geige spielen wollte, wurde der Feile ganz schwer ums Herz.
Was es damals alles zu sehen gab, wenn sie das Licht der Welt erblickte, grenzte fast an Wunder.
Da war diese Mini-Ananas gewesen. Irgendjemand hatte gesagt, dass Anannasscheiben auf die Brüste gelegt, Silikonimplantate überflüssig machen könnten. Die hat sie dann drei Wochen im Müllsack, wie ihr damaliger Freund, der Arsch ihre Handtasche liebevoll nannte, mit uns rumgetragen. Stück für Stück habe ich mich bei jedem Aufprall in die Frucht hinein gebohrt und seither bin ich rostig.
Mein Griff hat übrigens eine Bissspur, seit sie sich die Brustwarzenpiercings hat stechen lassen. Da war kein Beissholz zur Hand und ich musste dafür herhalten.
Im Kerzenlicht habe ich einmal als Einbruchswerkzeug gedient. Irgendetwas hat sie in der Schmuckschatulle ihrer Schwester vermutet. Das Kästchen hat sie zwar nicht aufbekommen, aber sie ist beim Rumhebeln ausgerutscht und hat sich einen Fingernagel eingerissen.
Danach hatte ich eine knappe halbe Stunde Arbeit, um ihn wieder halbwegs in Form zu bringen.
Das schönste Erlebnis, an das ich mich erinnere, war die Situation, als sie das Herzchen im Pferdestall in den Holm geritzt hat. Tina & Flori. Da war sie eine halbe Stunde zu früh bei der ersten Verabredung und hat so schön nach Chanel No 5, dem Parfüm ihrer Mutter gerochen.
Aber das ist alles Schnee von Gestern. Tinas Hand hat den Lippenstift gegriffen und ich friste meine Tage weiter zwischen Tampons, Schlüsselmäppchen und dem vertrockneten Brillenputztuch und Wasweisichnochalles.
Einzig das dauernd vibrierende lärmige Handy bringt etwas Leben in die Bude.
Wenn sie allerdings das Shakiragenöhle nicht bald gegen einen anderen Klingelton austauscht, sehe ich mich gezwungen, mich zwischen Batterie und Deckel zu bohren und einen Kurzschluss zu verursachen. Da bröckelt sogar mein Rost und die alte Armbanduhr hat wohl deswegen auch vor Kurzem den Geist aufgegeben