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Antwerpen

Der Bahnhof der mich angelockt hat!
Der Bahnhof der mich angelockt hat!

Neben der Kathedrale in Antwerpen sitze ich in einer leichten Brise, höre die leider schon jetzt braun gefärbten Blätter des Ahorns über mir seufzend dürsten. Seine gesunden Brüder stehen neben ihm und schweigen betroffen. Was sollen sie auch tun?  Vielleicht kam früher neben der kleinen offenen Baumscheibe noch genug Wasser durch die Ritzen zwischen dem Kopfsteinpflaster, als noch Sand statt Beton die Steine auf Abstand und am Platze hielt. Heute zumindest hat es für dieses arme Wesen nicht mehr gelangt!

In die Kirche nebenan zum Beten für ihren Kumpel werden die Bäume mangels Beine jedenfalls nicht gehen. Wie auch ich nicht. Aber aus anderen Gründen! Türsteher umrunden und Eintritt zu einem Gottesdienst, in meinem Fall eher Besinnung, werde ich nicht bezahlen. Ebenso wenig wie in einem der teuren Lokale drumherum speisen. Oder den horrenden Eintrittspreis in den Zoo bezahlen. 

 

Nichtsdestotrotz ist sie beeindruckend, die Kathedrale. Viele kleine Türmchen und Erker, große Buntglasfenster und Balustraden zieren den prachtvollen Bau. 

 

Bisher war keine der Gotteshäuser offen, an denen ich vorbeikam. Es passt zur Institution Kirche, Gott einzusperren oder sein Haus nur durch Bezahlung für die Menschen zu öffnen. Auf der Insel Maggiore habe ich gerne bezahlt, denn da hat ein kleiner archäologischer Verein die antiken Fresken in  der kleinen Kapelle auf seine Kosten restaurieren lassen. Vielleicht kommen auch deshalb immer weniger Menschen in die Kirche?


Der Platz neben der Kirche lohnt sich jedenfalls!

Neben mir spielen zwei junge Damen immer wieder lachend Karten und ich schreibe zufrieden mit der Welt diese Zeilen.

   

 https://maps.app.goo.gl/Dxxv8MK8FAjWUAaK6

Der Weg hierher war auch interessant. Am Anfang bin ich die gleichen Straßen auf der Schattenseite entlang geschlendert, die ich auch schon gestern lief. Da ich schon gegen 12.30 Uhr am wunderschönen Jugendstil-Bahnhof ankam, musste ich mir bis 18 Uhr irgendwie die Zeit vertreiben.  Weil ich für vier Tage nur leichtes Gepäck dabei hatte, konnte ich das bis dorthin auch wunderbar mit mir herumtragen.

 

Da schon die ICE auf der Herfahrt wahre Kühlschränke waren und ich trotz Daunenweste bald schon eiskalte Waden hatte, passte es ganz gut, dass auch hier nach den letzten unerträglich heißen Tagen neben 19 Grad zusätzlich ein furchtbar kalter Wind blies.  Direkt neben dem Eingang des Bahnhofs war gleich der des zoologischen Gartens. Im Windschatten. Ich also Richtung Kassenhäuschen losmarschiert und staunend davor stehengeblieben. 34,50 € Eintritt? Puh, nicht meine Preisklasse!

 

Also lieber wieder in den Wind und nach einem Secondhand-Laden Ausschau halten. Schon allein für die Rückfahrt in den rollenden Gefriertruhen der Deutschen Bahn musste ich mir ein Sweatshirt oder ein Jäckchen besorgen. Wie schon zuvor auf meinen Reisen lief ich wie ferngesteuert direkt ins Kebap-Viertel, wo vor den Ramschladen ein Kleiderständer, neben dem anderen auf der  Straße steht. Zehn Minuten später hatte ich meine wärmende Kapuzenjacke und schlenderte bald durch schmucke Sträßchen, auf denen nahezu an jedem Haus Blumen neben der Türe, an den Fenstern, Kletterpflanzen die Wand hoch oder sogar über die Straße wachsen. 

Irgendwann kam ich dann, immer noch drei Stunden zu früh an meiner Airbnb-Adresse an. Nach einer kurzen Trink-Pause auf dem Bänkchen davor, entschloss ich mich, die Stadt noch etwas weiterzuerkunden. Eine Stunde las ich in einem Café, in dem es keinen Zucker und nur einen besonders bitteren Espresso Doppio gab. 

 

https://maps.app.goo.gl/8nsVhY2JQ7S4nQUN6

 

Dann zog ich weiter und als ich auf der anderen Seite der Gleise zwischen Antwerpen Belchem und Centraal ankam, wurden meine Augen größer und größer. Ein prachtvolles Haus - was sage ich - Palast nach dem anderen. Gäbe es Augenorgasmen, so wäre ich in der nächsten Stunde von einem in den anderen getaumelt. Ich wusste gar nicht mehr, wohin ich die Kameralinse zuerst ausrichten soll. 

Aber seht selbst!

Als ich kurz vor 18 Uhr wieder an meiner Unterkunft ankam, setzte ich mich zwischen Klingeln und Nachrichten schreiben aufs Bänkchen davor und wartete darauf, dass jemand reagiert. Die Angst, nach dem doch langen Tag vielleicht eine neue Unterkunft suchen zu müssen, wuchs mit jeder Minute, die verstrich und sich die Türe nicht öffnete. Nach einer bangen Viertelstunde kam jedoch die Erlösung. Der Freund meiner Vermieterin hatte heute etwas länger arbeiten müssen. Nun durfte ich nach einer netten Begrüßung und einer Führung durchs Haus mein kleines schmuckes Zimmer beziehen. Leider im obersten Stock. Trotz Lüften mit dem doch so schön kalten Wind blieb es dann im aufgeheizten Zimmer doch eher eine erste Nachthälfte wie in der Sauna. Beim Dunkelwerden war es wegen Schnaken dann doch angeraten, das Fenster zu schließen. Dass ich dies vielleicht noch etwas früher hätte tun sollen, bewies mir das penetrante Sirren, das immer gerade dann neben meinem Ohr einsetzte, wenn ich gerade am Einnicken war. Eins der beiden Quälgeister konnte ich bei meinen nächtlichen Jagden aus der Luft fischen, doch das zweite entkam mir immer wieder. Die letzten zwei Nächte half dann der von der Vermieterin verratene Trick mit dem oszillierenden Ventilator. Der ständige leichte Luftstrom im Zimmer verschonte mich vor weiterem Surren und juckenden Pusteln am nächsten Morgen. 

Solche nicht wirklich schlimmen, aber eben unangenehme Erfahrungen lassen mich voller Dankbarkeit an meine schön kühle Souterrainwohnung und vor allem meine Schnakengittertüre denken. Und daran, dass ich gut daran tat, meine dreimonatige Reise schon im Frühjahr zu beginnen. Auch wenn ich dadurch die halbe Zeit unnötigerweise eine Weste und eine Jacke mit mir herumschleppen musste. 

Just jene Jacken, die ich nun, da ich sie in den Kühlschrankzügen, dem Wind in Antwerpen und den 16 Grad am vorletzten Regentag hätte gut gebrauchen können, nicht mehr dabei hatte. 

Allerdings ist es eine Version von "Ironie des Schicksals", die ich gerne ertrage. 

 

 

Die Menschen hier in Antwerpen sind auch sehr offen, freundlich und hilfsbereit! Ich glaube, so oft wie hier bin ich trotz meines eher mürrisch wirkenden Gesichts noch nirgendwo angelächelt worden.

Das verunsichert mich etwas. Denn statt mich deswegen hier wie z.B. in Paris nach zwei, drei Tagen schon wie zu Hause zu fühlen, stellt sich hier das Gefühl nicht ein. Vielleicht liegt es aber auch nur daran, dass meine Reise hier vorerst zu Ende geht. 

 

Apropos Verunsicherung: Ich bin die letzten Tage immer wieder durch Gegenden gekommen, in denen orthodoxe Juden in großer Zahl auf den Straßen unterwegs waren. Immer in schwarzem Anzug, oft plus schwarzem Mantel (trotz Hitze), fast immer mit langem Bart und Brille, den seitlichen Zöpfen und Hut, bzw. etwas seltener bei Erwachsenen der Kippa. Alle mit weißem Hemd, selbst die Kinder, die auch allesamt mit schwarzen Hosen, Zöpfchen und Kippa unterwegs waren. Am Samstag neben den Männern mit seltsamem riesigem braunhaarigem Hut, ganze Familien, bei denen selbst die Frauen schwarze Kleider und Kippa trugen und sogar die Kinderwagen ausnahmslos schwarz waren. Der Junge auf dem Bild mit der blauen Jacke war der einzige, der etwas Farbiges anhatte. 

Was mich dabei verunsichert, ist eben die konsequente Uniformierung und das etwas aus der Zeit gefallenen Styling, was mich etwas an die Amish in den USA erinnert. Und eben der Anblick der Kinder, die schon so farblos und für meinen Geschmack viel zu früh uniformiert und damit gleichgeschaltet wirken. Angesichts der schlimmen Situation im Nahen Osten und der Rolle der orthodoxen Siedler, die einen nicht unerheblichen Teil dazu beitragen, und eben auch diese Uniformierung zumindest in Haartracht und Kopfbedeckung zeigen, hat mich der Anblick doch unangenehm berührt. Vielleicht muss ich doch einmal wiederkommen und den Kontakt zu einem dieser Menschen suchen, um sie zu ihrer Meinung zu meinen Gedanken zu fragen?!  In Antwerpen hat mich neben die Sprachbarriere auch der Umstand daran gehindert, dass alle so Gekleideten immer in Eile schienen und es mir nicht angebracht schien, jemand Wildfremden zu solch komplexen Themen auf offener Straße anzusprechen. Vielleicht kann ich zu Hause ein Forum im Internet finden (obwohl ich bezweifle, dass Orthodoxe - jedweder Religion - sich in Internetforen tummeln).

 

In der Vesting Straat direkt neben dem wunderschönen Bahnhof liegt die Straße mit den hässlichsten Häusern Antwerpens. Hier glitzern nur die Diamanten in den Schaufenstern. 

 

Hier kam ich vorbei, als ich am Sonntag "Antwerpen Illusions" besuchte. Ich hätte ahnen können, dass ich die meisten der doch einfachen optischen Illusionen schon kenne und viele davon nur Sinn ergeben, wenn man zu zweit ist und sich gegenseitig fotografieren kann. So war es für mich 15 € herausgeschmissenes Geld. Was nicht heißen soll, dass es für die Familien mit Kindern, die mit mir drin waren, nicht doch ein Spaß war.

      

https://maps.app.goo.gl/F2hPSrDSbCtvyPke9

 

Vielleicht passt hier der Weg ja gut zum Ziel! Illusionär ist es allemal, bei glitzernden Oberflächen zu viel innere Schönheit zu erwarten.

 

Es gibt so viele erwähnenswerte Kleinigkeiten hier! Eine davon sind die Schuhabstreifer, die nahezu jedes ältere Haus hier direkt in der Wand neben der Haustüre eingebaut hat. Der Sichtschutz der recht tief liegenden Fenster hier sind oft Buntglas-Jugendstil-Mosaike.

Besonders auffällig ist die Fahrradfreundlichkeit der Stadt. Alle etwas größere Straßen besitzen neben dem Fußgängerweg eine Zweiradspur. Am ersten Ausflug in die Stadt achtete ich noch nicht darauf und hörte deshalb derbe Flüche und  wütendes Klingeln. Nach einem zu Glück gerade noch gelungenen Sprung zur Seite hatte ich es dann aber endlich kapiert! Ein Kennzeichen dieser Stadt ist auch die unendliche Vielfalt an Transporträdern. Einige wenige davon habe ich fotografieren können, da sie gestanden und nicht auf der Spur neben mir vorbeigerauscht sind. Selbstverständlich ist hier auch die Anzahl an E-Rädern um einiges größer als bei uns.

Heute am Tag meines Abschieds hatte ich wieder richtig Glück. Ich erwischte (mithilfe der Wetterapp) genau den Zeitraum für meinen Gang zum Bahnhof, an dem es nicht regnete. Wie gestern, als es auch den ganzen Tag regnete - bis auf die Zeit, in der ich zum Illusionsmuseum unterwegs war. Es scheint, als ob mich auf Reisen das Glück besonders hartnäckig verfolgt! Welche Schlussfolgerung ich daraus für die Zukunft ziehen sollte, ist einfach zu erraten. Ich werde mein Glück wohl bitten, inzwischen auf meinem Konto zu parken! Vielleicht fällt mir dann bald wieder ein lohnendes Reiseziel ein. 

 

Wenn ich nun nach den vergangenen drei Monaten auch froh bin, wieder zu Hause anzukommen, meine Freunde und Nachbarn zu sehen und in einen ruhigen Tagesablauf mit Waldspaziergang, Schreiben in der Stadtbibliothek und Belohnungskaffee danach einzubiegen, kann ich die entdeckte Lust am Reisen nicht leugnen. Und das, obwohl sich meine Vorstellung, auf langen Zugfahrten meine Bücher fertig zu schreiben, als illusorisch herausgestellt hat. Es gibt in den Zügen einfach meist zu viel Ablenkung und es ist zu unbequem, wenn man keinen Tisch hat oder ausufernde Nachbarn. Auch das größtenteils miserable Netz ist nicht unbedingt förderlich. So verlegte ich das Schreiben des Blogs entweder auf die Bahnhofsgaststätten oder meine Cafébesuche im Zielort. Ich hoffe, meine Artikel haben für den Leser etwas von dem Zauber rüberbringen können, den ich an den verschiedenen Orten empfunden habe. Vielleicht hat es sogar beim ein oder Anderen auch Reiselust geweckt. Es würde mich freuen! 

 

Ganz am Ende noch ein beeindruckender Bahnhof!

Liege-Guillemins in Belgien

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