Flucht


Eben noch rannte ich mit schweißglänzenden Muskeln durch einen Dschungel voller Farben, Tiergeräusche und duftender Blüten. Früchte reckten sich mir entgegen. Ich war auf der Jagd. Irgendwann stellten sich meine Nackenhaare, und ich merkte an heißem Atem, der sie streifte, dass ich im Kreis lief. Immer wieder versuchten feuchte Lippen sich an meinem Hals festzusaugen und scharfe Zähne ritzten gefährlich meine prallen Halsschlagadern. Ich war zum Gejagten geworden. Sie, mein Opfer war jetzt die Jägerin. Ich rannte schneller und hatte sie fast wieder erreicht. Mit einem rauhen, kehligen Schrei verwandelte sie sich in eine Raubkatze und schnellte davon. Von Neuem spürte ich ihren heißen Atem im Genick, spannte meine vibrierenden Muskeln und war ihr auf den Fersen. Es hätte ewig so weitergehen mögen. Wild und frei. Kraftstrotzende pulsierende Lust.

Doch dann war da plötzlich diese Liane. Der Abgrund. Mein atemloser Flug in die Tiefe.
Modrige Dunkelheit umfängt mich jetzt. Meine Finger reißen verzweifelt an kalten Eisenstäben. Meine Füsse stecken in eisigem Morast. Anja und Paul's Stimmchen schlängeln sich kitzelnd an meinen Waden empor, kriechen mit dem Frösteln, das nun meinen Rücken hoch und runter läuft nach oben, winden sich immer enger um den Klos in meinem Hals. Sie zischen leise, fast wimmernd: Papa? Werden lauter und lauter.
P - A - P - Aaaaahhhhh!
Die kleinen Buchstaben prasseln wie Schlegel auf mein Trommelfell, verwandeln sich dort in zuckende Stromschläge, die mein Herz zum Rasen bringen. Ich will mir die Ohren zuhalten, aber bekomme die verkrampften Finger nicht von den Gitterstäben. Diese werden heißer und heißer. Schmerz überflutet mich. Die Stäbe formen sich glühend vor meinen geblendeten Augen zu einem riesigen: GEH!


"Ich will ..., ich kann doch nicht ..., nein," Meine Gedanken überschlagen sich. Laut klopft mein Herz. Rast, stolpert, als würde es sich gleich überschlagen. Ich bekomme kaum Luft. Etwas Weiches, Feuchtes klebt an mir. Ich strample es panisch von mir und reiße die Augen auf. Wo bin ich? Ein Bett. An der Wand ein Bild. Lächelnde Kindergesichter. Ein Mann, eine Frau. Sie! Die schöne wilde Unbekannte. Blut strömt warm in meinen Unterleib. Ich erinnere mich. An die Jagd. Die Raubkatze, ihren heißen Atem, ihre Krallen, ihre Bisse. Ich will mich umdrehen, sie im.Schlaf überraschen. Sie zu neuem Spiel auffordern.
Doch meine Blase drückt, sie ist zum Bersten prall. Ich stehe auf und suche das Bad. Als ich auf der kühlen Brille sitze und der Druck nachlässt, beruhigt sich mein Herz und ich werde langsam richtig wach. Vor meinen Augen tauchen noch immer die letzten Szenen aus meinem Traum auf. Ich hebe den Blick, um mich abzulenken. Auch hier hängen Kinderbilder. Große, kleine, Photos und selbstgemalte Buntstiftzeichnungen. Der Klos in meinem Hals wächst wieder. Verdammt! Warum darf es mir nicht auch mal gut gehen? Ich wende mich ab und schaue in die andere Richtung. Zum Glück sehe ich mich jetzt nicht im Spiegel. Meine Mudwinkel heben sich ein wenig und bunte Zahnbecher schieben sich mir ins Blickfeld. Zwei große und zwei kleine Zahnbürsten. Ein Rasierer. After Shave. Vier Handtücher.
Mich fröstelt. Mist. Verdammter verfickter Mist! Immer wieder die gleiche Scheiße!
Schnell raus hier.