Rosa

Wenn der Himmel rosa wurde, wusste er früher: Es wird eine beschissene Nacht!

Denn immer, wenn sich am Abend die Wolken rötlich färbten, schien sich die ganze Welt samt Unterwelt und Göttern gegen ihn zu verschwören. Das letzte Mal musste er am nächsten Morgen gegen halb fünf aufstehen, um seinen Schwager pünktlich zur Maschine nach Rio zu bringen und was war? Die WG über ihm feierte ihr Zweijähriges. Selbst als er protestiert hatte und die Musik um zwei Striche leiser gestellt war, drangen die Tanzschritte von über seiner Schlafzimmerdecke bis mitten in sein Gehirn. Als ob die Hottentotten eingefallen wären und der Krach hörte erst dann schlagartig auf, als er gerade aufstehen musste. Zu allem Überfluss röchelte punktgenau an diesem Morgen seine Kaffeemaschine ihr letztes Leben aus und er stellte fest, dass seine gesamte Unterwäsche im Dreckkorb lag. Bremsstreifen ahoi!

Beim vorletzten Mal schoss zuerst ein Jugendlicher einen Fußball durch das geschlossene Fenster seiner Toilette. Abends um halb neun. Ausgerechnet da, als er auf dem Pott saß. Der Chirurg, der die Glassplitter aus seinem Hinterkopf und dem Hals zog meinte nur, dass er ziemliches Glück gehabt hätte, denn ein Splitter wäre etwa einen Millimeter entfernt von der Halsschlagader gesteckt.

Die Woche zuvor hatte er sich beim Rendevouz mit Clara auf einen frischen Kaugummi gesetzt und diesen dann auf ihrem Beifahrersitz und danach auf ihrer nagelneuen Nobelcouchgarnitur verteilt. Als sie das bemerkte, war der Abend natürlich gelaufen und genau das durfte er auch selbst tun, da ihm die letzte Bahn nach Hause direkt vor der Nase wegfuhr.

Man bleibe ihm also weg mit romantischen Vorstellungen vom Abendrot. Die Erfahrungen damit waren für ihn nicht etwa zartbitter - sie waren unabdingbar bitterernst und er hatte sich vorgenommen, sie zukünftig großräumig zu umfahren. Zuerst war ihm keine Lösung eingefallen, da ihn das Unglück ja überall treffen kann. Doch dann erinnerte er sich an die dunkelblaue Sonnenbrille von seinem Freund Karl und wie seltsam die Welt damit ausgesehen hatte, als er sie ausprobierte.
Von da an war der Abendhimmel dann nicht mehr rosa. Eher tieflila und sie bewirkte genau das Gegenteil von Rosa.

Mit dieser Mafioso- und Angeberbrille, wie er sie nannte, war er Rosa begegnet. Ja, genau so heißt das aufregende Wesen, das seither seine Nächte unsicher macht und der WG über ihm mit ihrem Organ den Schlaf raubt. Und nun ist er versöhnt mit Rosa, Lila und dem Fliwatüt.
Sonnenbrillen zieht er seither nicht mehr an, denn klein Rosalie zieht sie ihm sowieso immer wieder von der Nase.

Wenn er es genau nimmt, mag er das Abendrot sogar mittlerweile. Denn Rosa ist nun sein Glück. Auf ganzer Linie!