Pimmi oder Was dahinter lebt ...
Euter am kalten Arsch, Landkreis Pumpernickel, Ricollastr.96.
Das Hintertürchen raus, übers kurze Mösengängchen zum Schmetterlingsgarten vom alten Grantler. Durch das Loch im Zaun hinter der dichten Haselhecke geschlüpft und
zur anderen Seite am Hang wieder raus. Hier sitzt Pimmi schon seit Menschengedenken jeden Mittag von 14.30 - 17 Uhr auf dem Brett. Seinem Brett. Das Brett ist aus Eiche. Es war hier schon
zwischen zwei dicken Ästen angenagelt, bevor der Pimmi überhaupt geplant war. Zumindest sah es schon so alt aus, als Pimmi es fand.
Pimmi Lochpichler wohnt gar nicht weit davon entfernt. Etwa sieben Minuten braucht er von seinem Brett, bis er am Abendbrottisch im Heim sitzt. Im Winter machmal
eine oder zwei Minuten länger. Aber nur, wenn es vorher geregnet hat und die Pfützen in der Mösengasse zugefroren sind. Am Tag danach hat er schon etwas Sand zum streuen dabei. Denn er muß
pünktlich am Tisch sitzen, sonst bekommt der Hund von Frollein Krapp seine Portion. Disziplin ist eine der Lieblingstugenden vom Frollein. Die kann man einem Kind nicht früh genug einbläuen,
meint sie. Und früher, als der Rohrstock noch lustig pfeifen durfte, wäre Erziehung viel einfacher gewesen. Kindgerecht und picobello - jawoll! Da wäre sie im Paradeschritt mit der ganzen Gruppe
zum Markt gelaufen und keines, wirklich keines sei aus der Reihe getanzt. Niemals. Doch heute ... .
Pimmi focht das nicht mehr an. Er stellte die Ohren auf Durchzug, wenn die Alte mal wieder anfing zu goschen. Dann floss das Gezeter vorbei wie waberichen
Buchstabensalat im Gedankenfluß eines nebligen Herbstmorgens.
Man durfte sowieso nichts dazu sagen. Entweder der keifende Faltenbalg blies sich dann richtig auf und platzte fast vor Eifer und oder Wut, oder es ging eben nochmal
zehn Minuten länger, bis er und seine Kollegen vom Tisch aufstehen durften. Egon, der seine vorlaute Gosch nicht halten konnte, hatte dauernd Hausarrest und musste schon seit einem halben Jahr
die Toiletten alleine putzen. Einmal hatte Pimmi ihm heimlich geholfen, doch Egon hatte schon die gleichen Allüren angenommen wie die Alte und machte ihm bei Allem und Jedem
Vorschriften.
Halt den Schwamm so und lass bloß die Seife nicht in den Eimer fallen. Da im Eck ist noch Dreck! Patapatiepatapata ... Das war das letzte Mal gewesen. dass Pimmi ihm
geholfen hatte.
Auf dem Kirschbaum ist Pimmi ganz alleine für sich. Keiner Quatscht ihm rein. Niemand weiß etwas besser. Nur der Regen stört manchmal etwas. Irgenwann einmal, so mit
zwölf, hatte er überlegt, sich ein Dach zu bauen. Ein richtiges Baumhaus daraus zu machen. Doch woher das Holz, die Nägel und das Werkzeug nehmen, wenn nicht stehlen? Außerdem würde man dann
seinen geheimen Platz von weitem schon sehen. Also hatte er es gelassen und sich zu Weihnachten einen Regenponcho gewünscht.
Apropos alleine. Pimmi fühlte sich überhaupt nicht einsam. Da waren die Vögel, die ihn schon so gewohnt waren, dass sie ihn manchmal mit dem Baum verwechselten und
auf ihm landeten, wie auf einem Ast. Sogar ein Eichhörnchen ist letztens an ihm entlang geklettert, saß einen Weile auf seinem Kopf und knabberte an einer Nuß.
Pimmi konnte das sehen, da er einen Fahrradspiegel so befestigt hat, dass er damit den Garten hinter ihm und einen Teil des Mösengängchens überblicken kann. Der alte
Grantler kommt zwar schon lange nicht mehr in seinen Garten, der wohl genau deshalb so schön zugewuchert ist. Doch man weiß ja nie. Vorsicht ist die Gouvernante des Rohrstocks.
So sitzt Pimmi wohl noch zwei Jahre Tag für Tag hier oben. In zwei Jahren ist er volljährig.
Dann muß er aus dem Heim ausziehen und sich dort, wo er hinzieht, ein neues Plätzchen suchen. Aber das macht ihm keinerlei Kopfzerbrechen. Einmal hat er im Fernsehen
bei einem Schulkameraden ein Hochhaus gesehen. Dort würde er zwar nicht mehr den Kühen beim Wiederkäuen zuschauen können, doch der Blick nach unten mit all den wie fern- oder computergesteuerten
Autos und Menschlein oder der in die Weite zu den schneebedeckten Bergen wird ihn auch ruhig werden lassen. Da ist er sich sicher. Und freundlichere Menschen als die olle Kropp findet er dort
sicher auch.
Und er kann dann jeden Tag ein Schaumbad nehmen. Ohne dass die Alte etwas zu motzen hat und ohne Anzuklopfen zu den ungünstigsten Momenten hereinkommt. Da freut er
sich schon richtig drauf!
Zukunft ist für ihn ein tolles Wort.