Argon Wichsli
Kreisrund der beginnende Haarausfall, katatonisch anmutend seine Haltung, sitzt Argon Wichsli an seiner Hantelbank und kämpft mit zusammengebissenen Zähnen und in
den Augen brennenden Schweißtropfen gegen den unaufhaltsamen Fortschritt des Alters an.
Als gälte es das Leben - was es ja auch tut.
Doch er ahnt es nicht.
Die Zeichen seines Körpers waren für ihn schon immer Kauderwelsch. Lästige Zeichen, die er mit einem kurzen Anspannen seiner kräftigen Hals- und Kaumuskeln
verscheucht oder in seltenen Fällen auch mit einer Pille oder einem Spritzchen beim Orthopäden. Das Herz war schon immer für ihn eine Hochleistungspumpe, deren Leistung er zwar beim Anschauen
einer Präsentationsdoku der Marketingabteilung für ihre Defibrillatoren durchaus Hochachtung zollte, doch das - verdammt noch Mal! - zu funktionieren hatte.
So wie seine Firma.
Harte Hand schaft klare Verhältnisse - Herzschmerz ist nur etwas für Kinoleinwände und überhaupt: Seit Kamelie, seine Frau an Krebst gestorben ist, ist der
allabendliche Schmerz an der Hantelbank seine Rettung!
Als wimmerndes Weichei, was er die ersten zwei Wochen nach ihrem Tod gewesen war, hätte er nicht weiterleben wollen. Zum Glück hatten damals in der Firma
zukunftsweisende Entscheidungen angestanden, die er niemanden Anderen hatte fällen lassen wollen und so war tagsüber die Disziplin und des Abends das Trainingsgerät seine und die Rettung der
Firma geworden. Seiner Ansicht nach hat sich diese Abkehr von der Trauer mehr als gelohnt. Die Zahlen lügen nicht und in etwa einem halben Jahr steht der Gang an die Börse an.
Erfolg ist eben kein Selbstläufer und nur mit absoluter Disziplin zu erreichen und zu halten!
Ein heißer Tropfen bahnt sich den Weg von seiner Stirn in den inneren Augenwinkel. Es brennt höllisch und Argon beendet fluchend sein Trainingsprogramm. Seit ihm der
Quacksalber diese Betablocker verabreicht hat, brennt sein Schweiß. Er wollte sich weigern, doch der elende Kammerjäger meinte, ohne diese Medikamente würde seine Pumpe sein Pensum nicht mehr
lange mitmachen und aus einem gelegentlichen Stottern oder stummem Herzinfarkt würde er sich in Rekordzeit entweder ein ausgewachsenes Kammerflimmern oder einen plötzlichen Herzstillstand
heranzüchten. Elendes Pack, diese Ärzte. Rieten ihm doch tatsächlich, einen Gang runterzuschalten und lange Waldspaziergänge oder Yoga, Chi Gong oder irgend einen anderen esoterischen
Weicheischeiß zu machen.
Ihm. Argon Wichsli!
Ein Blitz, begleitet von einem bösartigen Kreischen in seinen Ohren, durchzuckt seine Brust. Kurz lässt die Angst seine Augäpfel wachsen und er greift sich an die
Brust. Ein paar tiefe Atemzüge später lässt die Spannung wieder nach.
Gott sei Dank!
Das hätte ihm jetzt gerade noch gefehlt. Der morgige Tag ist voller wichtiger Termine.
Kurz sticht es noch einmal und er zwingt sich tief und langsam in den Bauch zu atmen.
Wo war er stehen geblieben? Ach ja. Morgen. Wichtige Termine! Der wichtigste war das Essen am Abend mit Anna. Anna - sein Herzblatt. Sie war genauso zart wie ihre
Mutter, genauso schön! Genauso ruhig wie sie, doch auch zielstrebig wie ihr Vater. Sie schien ihhrer beider Stärken mühelos zu kombinieren, obwohl diese schier unmöglich zu vereinbaren
sind.
Anna!
Als er sie so vor sich sieht, ihr glockenhelles Lachen in den Ohren, lässt er alles los. Das Kribbeln in den Beinen und Händen verfliegt. Er öffnet den Mund und
lockert seine Kiefermuskulatur und ein tiefer Friede erfüllt ihn.
Anna. Ihr zuliebe sollte er wirklich etwas kürzer treten. Lange genug hat er schon gekämpft und durchgehalten. Vielleicht kann sie ihm einen Rat geben. Wie er das
Gas etwas rausnehmem kann, ohne zum Weichei zu werden.
Auf seine Hantelbank und die kalte Dusche danach wird er aber nicht verzichten!