Besen, Besen...

 

Später Montagvormittag, Aufgaben erledigt, Überstundenabbau. Kaffeehaus, mein Wohlfühl- und Musenlockort. Sozuschreiben Heimat!

Eigentlich sollte es mir richtig gut gehen. Eigentlich.

Doch Pustekuchen, Orchideenfurz! Gerade ist das genaue Gegenteil der Fall.

 

Vielleicht kennt es ja auch jemand außer mir:

Nach über 20 Jahren im Geschäft, schweren letzten Jahren dank kranken und verschwindenden Kollegen, deren Bereiche ich kommissarisch übernahm, werde ich gerade aussortiert. Von neuen Kollegen, die ich sogar selbst an Land gezogen habe, weil von Chefseite zu lange nichts geschah und es zugegebenermaßen auch schwer war, überhaupt jemanden zu bekommen. Übernahm stimmt wortwörtlich, denn ich habe mich in der Zeit davor schon mit all den wichtigen und unaufschiebbaren Dingen so übernommen, dass mein Körper mich mittels Riesensteinen in der Blase außer Gefecht setzen musste und all die Berge von Unerledigtem mich nächtens stundenlang wach hielten. Das Gewicht der Berge und Steine auf dem Weg wurde durch meine Loyalität, meinem Anspruch, dem ungnädigen Selbstanspruch noch größer und stieg ins mir Unermessliche. Zwar merkte ich an meiner schwindenden Geduld mit unseren vom Schicksal geschwängerten Gästen und ihren Turbulenzen, dass etwas gar nicht mehr stimmte, konnte jedoch keinen gangbaren Ausweg sehen. Irgendwie musste es ja weitergehen. Ich funktionierte gerade noch so. Leben war da wenig in mir.

 

So musste ich mir in der endlich angetretenen Reha nach der Bauch-OP irgendwann eingestehen, dass die Diagnose Burnout recht passend mein Gefühl des völlig Ausgebranntseins beschrieb. Dort konnte ich endlich wieder einschlafen, irgendwann durchschlafen und ohne das dauernde Gefühl von elektrischem Getriebensein lesen und die Ruhe des Waldes genießen.

Man könnte sagen, das Leben hat mich vom Elfenbeinturm gestoßen, mir damit und dazu die zarten Elfenbeine brechen müssen, dass ich nicht weiter und weiter und weiter meinen Ansprüchen hinterherrenne.

 

Nun gut - nein schlecht. Oder besser folgerichtig:

Ungeduldig, wartete ich nach der Kur darauf, wieder durchzustarten. Schließlich kam mit der inneren Beruhigung wieder etwas von meiner alten Kreativität und Lebenslust zum Vorschein. Morgenröte versprach den Wetterwechsel, aber blendete mich, sodass ich die gefährlichen Spitzen von Neptuns Dreizack nicht sah, die nach dem Sturm noch nicht ganz im aufgewühlten Meer der Gefühle und Entscheidungen verschwunden waren. Ich vergaß im neu wachsenden Größenwahn, dass auch andere als ich selbst neue Stürme in mein Wasserglas rühren können. Namentlich Familienmitglieder und Kollegen, denn die sind für mich auch Familie. Ihre Stürme, die meine Oberfläche erneut so aufwühlen, dass ihre Qualen und Ängste ungehindert in meine Tiefe eindringen und Neptuns Spitzen locken. Sodass mein Geist, der verzweifelt versucht, nicht von den Wellen erneut verschlungen zu werden, vom Wind wie eine Florfliege hin- und hergeschubst nirgendwo mehr Halt findet und nur hoffen kann, dass es bald vorüber ist.

Wäre ich mit meiner ach so großen Erfahrung nicht betriebsblind gewesen, hätte ich auf viele Beobachtungen und Berichte zurückgreifen können, die zeigen, dass neue Besen selten auf die Erfahrungen der Älteren Wert legen. Sie müssen unweigerlich erst durch mehrere Pfützen kehren, bis sie bemerken, dass Borsten, Staub und Nässe schnell und unumkehrbar zu einer fast betonharten Masse werden, die keinen Grund mehr säubern können.

 

Und so darf meine Erfahrung, mein offener Blick für erkannte Notwendigkeiten nun nutzlos und enttäuscht durch die Korridore meines bisherigen Schaffensraums irren. Darauf achten und hoffen, dass meine Borsten nicht durch deren Wasserglasstürme, den aufgewirbelten Staub und meine Tränen nicht selbst zu Beton werden.

Bisher schaffe ich es noch, sie immer wieder früh genug zu reinigen. Ich weiß, ich muss, obwohl ich sowas von die Schnauze voll habe. Schließlich will ich in einem halben Jahr als zwar nicht mehr ganz heißer Feger, aber doch noch gerade und sauber in die Rentenfreiheit starten. Wollja!

Merken, dass ich auf dem richtigen Weg bin, aus der verbrannten Erde wieder neue Triebe sprießen, werde ich daran, dass meine Nase statt brenzlich wieder frische, würzige und leichte Düfte wahrnimmt. Auch hier erinnert mich mein Körper seit der letzten Grippe mit einem unerträglichen Symptom daran, dass ich nicht einfach verduften soll, sondern lernen, meinem Riecher wieder zu vertrauen.