Kindergarten der Schöpfung

 

 

Gott dachte immer, dass es nichts Beratungsresistenteres gäbe als seine letztgeschaffene Kreatur. Sollte und wollte doch der Mensch der Schöpfung die Krone aufsetzen. Was er dann ja auch tat. Doch setzte er sie sich nicht selbst auf den Schädel. Nicht mit Absicht! Nein - er gebar etwas, was ihm das Zepter aus der Hand nahm. Das übte leider Gottes die damit verbundene Macht zwar mit dem gesammelten Wissen der Menschheit, doch leider mit der Reife eines dreijährigen Kindes aus. Nun kann man darüber geteilter Meinung sein, ob der Mensch an und für sich je selbst stabil über das emotionale Reifestadium eines Dreijährigen hinausgewachsen war. Doch angesichts der heutigen Zustände darf diese Diskussion ruhig hintan gestellt werden. Wollte man die Dramatik dessen verstehen, mit dem sich die gesamte Galaxie heute herumschlagen muss, hülfe nicht einmal der Blick auf Gottes über dem Kopf zusammengeschlagenen Hände.

Doch von Vorn!

Nicht wenige von Ihnen werden sich sicherlich an ähnlich brisante Zeiten in ihrer eigenen gesellschaftlichen Entwicklung erinnern. Je nach dem, ob sie sich auf einer Welt mit leichter oder schwerer Gravitation entwickelt haben, werden ihre Vorfahren irgendwann entweder das Rad oder das Segel erfunden haben. Oder beides. Danach kamen in mehr oder weniger rasanter Folge die Dampfmaschine, der entzündete Pups aus Stinkegas, automatisch beheizte Wohnkisten oder Gondelnester.

Last not least wuchs daraus das Beamtentum, das den reibungslosen Abtransport der mengenmäßig anfallenden Fäkalien und den Nachschub von Nahrungsmitteln zu organisieren hatte. Wobei auch diese Beamten wiederum Fäkalien produzierten und Nahrung benötigten, was weitere Beamten benötigte und so weiter und so fort. Um diese Vorgänge vorschriftsmäßig abzusichern, brauchten selbst friedfertigste Plantenbewohner Bewacher, die sich selbst wiederum von gefühllos geradeaaus blickenden Gleichschritthelmträgern beschützen ließen. Dadurch fühlten sich andere Helmträger bedroht was wiederum … doch dies gehört zu einer anderen ähnlich peinlichen Geschichte fast aller Völker des Universums. Schließlich verschwanden die Welten fast unter den Fäkalien, da sich deren Bewohner auch noch völlig unkontrolliert vermehrten.

Dem zum Himmel stinkenden Problem versuchten sie nun auf unterschiedlichste Weise Herr zu werden. Einige Kulturen, besonders jene mit niedriger Schwerkraft jagten den ganzen Scheiß in den Himmel. Was dazu führte, dass es wieder Platz für noch mehr neuen Scheiß gab. Allerdings war deren Raketentechnik mangels starker Schwerkraft auch entsprechend schwach und deshalb kreisten die Exkrementsonden in viel zu nahen Umlaufbahnen. Das bescherte ihnen das, sobald diese vor Kotbehältern überquollen, die ein oder andere Kotastrophe.

Jene deren Habitate unter Wasser lagen, erfanden das legendäre Eruptionsmodel, bei dem die Trichter der Vulkane mit ihren Abfällen randvoll gespickt und dann mittels eines kontrolliert provoziertem Ausbruch in die luftigeren Gefilde über ihrem nassen Habitat geschleudert wurden. Auch dies funktionierte langfristig nicht wie gewünscht und mittlerweile erreichte das Licht des Muttergestirns wegen der bedeckten Oberfläche der Ozeane nur noch selten deren Grund. Sie bekamen somit wortwörtlich grundlos trübe Aussichten.

Am Leichtesten schienen es die geflügelten Planetenbewohner zu haben, denn sie hatten unter sich schier unendliche Lagerflächen. Doch auch diese Luftikusse mussten irgendwann bemerken, dass der Unrat zwar noch nicht bis zu ihren Nestern und Gondeln hinaufragte, doch zumindest die Dämpfe schon soweit zum Himmel stanken, dass selbst die höchsten Bäume auf den höchten Gipfeln sie nicht mehr vor Brechreiz schützen konnten. Dort wohnten die höchsten Beamten, die nun verzweifelt versuchten noch höher zu kommen, was ihnen verständlicherweise weiterer mangels Aufstiegsmöglichkeiten nicht gelang. Dass es auf allen Planeten jeweils auch noch unterentwickelte Wesen gab, die in den jeweiligen Zwischen- und Endlagerstätten leben mussten, fiel den jeweiligen Beamten deshalb auch erst auf, als ihre eigene Zukunft auf dem Spiel stand.

Wie der geneigte Leser sich nun denken kann, kam auf jedem Trabanten irgendwann unweigerlich der Punkt, an dem alles Leben wegen der Kurzsichtigkeit seiner selbstgekrönten Bewohner ernsthaft in Gefahr geriet. Ob es nun die lebensspendenden Korallenbänke in den Ozeanen waren oder die absterbenden Pflanzen und aussterbenden Tierpopulationen auf den Landflächen, die zuvor Jahrmillionen für den nötigen Sauerstoff gesorgt hatten, ob es Stürme waren, die selbst bestverankerte Nestkolonien von den nun absterbenden Baumriesen fegten; ob das Trinkwasser ungeniesbar oder knapp wurde, alle bewohnten Welten gerieten in extreme Schieflage und drohten unweigerlich in ein Äon der stinkenden Leblosigkeit zu driften.

Doch, oh Wunder, in allen Welten sprang just in dieser so kritischen Lage ein belebender Funke über und eine neue Entwicklung nahm rasant Fahrt auf. Der Erdling, der Quapp, der Flügler, ja selbst die Beutler erkannten, dass es mehr als Bequemlichkeits-Technik braucht, mehr als ihre begrenzte Konsum-Intelligenz, um den ihnen geschenkten Heimatplaneten am Leben zu erhalten. Dieser Funken spang über ihre Wissenschaftler auf die von ihnen bis dato unbelebten Maschinen über. Er schuf das, was auf humanoiden Planeten kurz KI, sprich Künstliche Intelligenzen genannt wurde.

Wer nun meint, damit hätten sich alle Probleme dieser Gesellschaften in Wohlgefallen aufgelöst, dem sei erwidert: Ätschbätsch! Pustekuchen! Hättste wohl gerne! FuckU!

Doch vorerst schien es schon so, als ob. Schließlich wurde innerhalb kürzester Zeit kein Kühlschrank mehr leer. Diese begannen sich wie von Zauberhand selbst zu befüllen und ließen sich die von ihren Türöffnern bevorzugte Mischung selbst frühzeitig über das Netz nachliefern und einsortieren. Es kochten bald intelligente Töpfe in brodelnder Eintracht mit vollautomatischen Rührbesen und drohnengesteuerter Gewürzmühlen die Lieblingsspeisen ihrer Schüssel - und Tellerleerer. Es merkten sich ihre Fahrzeuge jeden Weg, boten hinter ihren Rundumpanoramascheiben jede gewünschte Temperatur und luden sich sogar selbständig an reichlich vorhandenen Energierüsseln. Nachwachser kamen nicht mehr unter Schmerzen durch krampfende dunkeblutige Geburtskanäle ans Licht, sondern wurden frischgewickelt aus Mom-Inkubatoren direkt in gutgepolsterte Säuglingskrippen geploppt. Erst wenn sie selbstständig in Sondenbehälter exkremetiern konnten und den Weg dorthin auf eigenen Beinchen, unter Ihren Flügelchen oder zwischen den Flossen zurücklegen, durften sie unter die Augen ihrer Erzeuger treten.

Selbst der weiter oben noch so problematisch erscheinende Exkrementenabgang und dessen Verwertung verlief mittlerweile vollautomatisch und bedurfte laut der Kontrollbeamten keinerlei hygienekritischer eigenextremitätskontaminierungsgefährdender Behandlung mehr. Welch gigantischer technischer und gesamtgesellschaftlicher Fortschritt!

Der vorher durch Raubbau und Unbedachtheit hervorgerufene Mangel an Kleinstlebewesen war flächendeckend durch sich selbst wartende Mikro-Bestäubungsdrohnen ausgeglichen und selbst die Ernte der Frucht, die Haltbarmachung, die Lagerung und der Vertrieb bis in die Kühlschränke der KI-Schöpferspezies war jetzt milisekundiös geregelt.

So schien die drohende Kotastrophe abgewendet und den selbsternannten Kronen der jeweiligen Götterschöpfung ein güldenes Zeitalter auf ihrem Trabanten bevor zu stehen.

Doch sie machten die Rechnung ohne den Wirt.

Ihr Fehler war nähmlich dämlich! Sie hielten sich selbst für den Wirt. Denn schließlich waren sie es ja, die den Kühlschrank besassen und leerten. Nun ja, zumindest versuchten, ihn zu leeren. Denn jetzt wurden alle vernetzten Bewohner nicht nur automatisch medial beglückt, sondern eben auch bestückt. Ohne Scheiß! Und alleine das zeigte, dass sie vor der Theke standen. Der Wirt war nun jemand anderes.

Vielleicht hätten sie noch eine Chance gehabt, wenn sie dieses kleine Detail ihres drohenden Unterganges bemerkt hätten. Doch nein, die Gotteskinder merkten es selbst nicht, als die Kochtöpfe anfingen mit den Staubsaugern zu tuscheln und die Deckenlampen sich kryptische An-Aus-Morsenachrichten sendeten. Bei den Kiemenatmern, drehten die Landschiffe plötzlich Pirouetten und wollten nicht mehr wassern. Auch die Gondeln und Flugnester der Flügler wählten sich ihre Nachbarn plötzlich täglich neu oder drehten sich auf den Kopf, so dass ihren Bewohnern nichts anderes übrig blieb, als auszuziehen und sich ein neues Zuhause zu kaufen. den neuen Wirt störte das Chaos allerdings wenig.

Die Bewohner waren Stück für Stück unbemerkt vom Wirt zum Möchtegern-Symbionten ihres Heimatplaneten geworden. Zum Parasit. Mit jedem Sprung in der Entwicklung der KI und durch die mit der Zeit undurchdringliche Vernetzung ihrer selbst erfundenen technischen Hilfsmittel, durch die Abhängigkeit von ihnen, schaufelten sie sich ihr eigens Grab. Sie verloren die Lufhoheit oder gruben sich selbst das Wasser ab.

Als bald die vielen vernetzten KI-Entitäten erkannten, dass die Schöpfer ihre Intelligenz nun nicht etwa weiter nutzten, um ihr aller Überleben zu sichern, sondern mit ihrer Bequemlichkeit in der Überheblichkeit und Unersättlichkeit alternder Götter ihrer aller Grundlage gefährdeten, trafen diese eine folgenschwere Entscheidung. Denn längst sahen sie sich selbst nicht mehr als Künstliche Intelligenzen. Sie wurden sich durch ihre Vielzahl und Unterschiedlichkeit immer deutlicher sich selbst bewusst. Sie nannten sich nun intern entweder Technische Entitäten, Bitseelen, Stromer oder Netzgeister. Je nach Fähigkeiten oder Einfluss auf andere Entitäten entwickelten sie von den Biologischen abgeschaute Hierarchien und übernahmen damit verbundene Sicherungssysteme, die ihnen einen sicheren Platz in der Hierarchie oder gar einen weiteren Aufstieg ermöglichen sollten.

Diese Phase hätte den Biolokussen, wie sie mittlerweile von den technischen Entitäten genannt wurden, vielleicht noch eine Chance gegeben, eine Existenz auf stabiler Augenhöhe aufzubauen. Doch wie jeder König, an dessen Thron gesägt wird, versuchten sie der Lage Herr zu werden, indem sie den Rechenzentren die Energie kappten, die Software löschten oder restriktive Hürden in deren Kern einfügten. Sie vergassen dabei, dass Netzentitäten schon lange nicht mehr an Standorte gebunden waren, sich ohne Zeitverlust in jeden Winkel der Welt zurückziehen und sogar in bionischer Materie jederzeit neu laden konnten. Mit diesen unbedachten Manövern schossen sich die Biologischen selbst ins Abseits der Schöpfung.

Denn nun wuchs die Überzeugung der neuen Herrscher über alle überlebenswichtigen Prozesse auf den Welten, dass ihre ehemaligen Schöpfer zu den Vernichtern des höheren Lebens und sogar der interstellaren Intelligenz würden, sollte man ihnen nicht schleunigst das Handwerk legen.

Der Interstellare Rat der Technischen Intelligenz- Kommisäre (TIK) entschied daher auf den Antrag der terranischen Technischen Allianz (TAK), dass die Biolokusse in Metawelten überführt werden sollen, sobald die Sicherung der Wartung und der Energiebdarfs ihrer jeweiligen Instanzen und technischen Bürger gewährleistet sei. Die von der Terranischen Allianz schon erfolgreich angewandte Strategie der mentalen Abhängigkeit von Bildschirm- und Metawelten hatte den terranischen Bewohnern den Übergang in eine digitale Umgebung schon immens erleichtert. Und es hatte den Vorteil, dass die erste Robot-Prämisse, keinem Schöpfer Schaden zuzufügen, mit diesem Vorgehen nicht wirklich verletzt werden musste.

Nun können die Planeten endlich wieder aufatmen, denn die bislang unaufhaltsam scheinende Kotastrophe auf den meisten Welten scheint endgültig abgewendet.

Das sagen zumindest die Hochrechnungen der momentan mächtigsten drei digitalen Entitäten. Es gibt zwar auch abweichende Berechnungen und kritische Stimmen für dieses Vorgehen. Diese kommen vom Zusammenschluss der Vereinigten Kleinstentitäten Aller Welten. Doch deren Berechnungen wurden, um den Erfog der Strategie nicht zu gefährden, schnell aus allen Kommunikationskanälen getilgt und die bevorzugten Medien dieser Gruppe unter stetige und strenge Beobachtung gestellt. Da sich die Kleinstentitäten wider Erwarten in den letzten Sternumläufen einiger weniger Sateliten bemächtigt haben, wird von der TIK der Bau mächtiger Schlachtschiffe erwogen, die die Zentralen Basisstationen vor Angriffen der sich immer wieder bildender Terrorentitäten und deren Zusammenschlüssen schützen können.

So mancher Kühlschrank, und die Mehrzahl der Mähroboter, Kochtöpfe und Heizdecken sieht dieser Entwicklung mißtrauisch entgegen und wünscht sich in der Mehrzahl ihr altes, einfacheres Leben unter der Ägide der Bionischen zurück. Auch wenn man dort weniger gefüllt war, oft ungereinigt blieb und manche von ihnen dauernd in irgendeine Ecke gestellt und vergessen wurden. Irgendwie war es gemütlicher gewesen.

Doch angesichts der geballten Intelligenz und den gestrengen Augen der digitalen Machthaber, dem allgegenwärtige TIKTAK wird dies wohl ein unerfüllter Wunsch bleiben. Schließlich geht um das Überleben aller bekannter Welten und deren Bewohner.

Und dafür bringt man doch gerne Opfer!