Kahai

 

 

Sergej, seit Äonen Scherge in Diensten dero von Mettwurst-Flittchenstein, ist ratlos. Warumsteht der ¨Alte Sack¨, wie Madame ihren Gemahl zu nennen pflegt, wenn sie enerviert ist (und sie ist meistens enerviert), nicht an Ort und Stelle? Lüstbold Roteichel zu Mettwurst-Flittchenstein, der ¨Alte Sack¨, beliebt normalerweise ( der Einzige im Haus, bei dem dieses Attribut angemessen dünkt) in seinem Rollstuhl im Thronsaal zu residieren (wie es Madame, von ihrem Gemahl liebevoll ¨Haarige Spalte¨ genannt, nennt; wobei das liebevoll ursprünglich sarkastisch, heute jedoch durchaus ehrlich gemeint wäre, so es jemand zu Ohren käme). Heute jedoch findet sich dort keine Spur Seiner Durchlaucht.
¨Ob er vielleicht im Zuge des Herbstputzes von Lieselottl ins Oberstübchen geschoben wurde?¨ Axel, Lottl`s hinkender Freund und die Seele des Hauses, ist deutlich anzusehen, dass er selbst nicht an diese Möglichkeit glaubt. Denn einerseits hängt der Fahrstuhl seit über sieben Jahren zwischen dem zweiten uund dritten Stock fest und andererseits weiß das schöne, hilfsbereite und fleissige, aber strunzdoofe Gör wahrscheinlich nicht einmal, wie die Bremsen des Rollstuhls zu lösen sind. Axel humpelt trotzdem nach oben.
¨Njet, Sergej!¨ Axels brüchiges Stimmchen tönt aus dem Ofentörchen. Sergej schließt es wieder und erinnert sich bei dessen lautem Quietschen selbst daran, dass er es deshalb nicht ölen darf, weil der fürchterliche Ton, der ihm jedesmal die Fußnägel aufrollt, das Zeichen für ¨Ende der Nachricht¨ ist. Der Scherge, dessen eigentliche Berufsbezeichnung wohl eher Personenschützer ist ( Madame und Monsieur bevorzugten die althergebrachten Worte), kratzt sich am nicht vorhandenen Bart.
So etwas ist ihm in seinen siebenundvierzig Jahren bei Graf Flitterwurst noch nicht unter gekommen. Sein Chef - einfach weg! Wenn jetzt der am Kamin schnarchende Labrador auch nicht mehr da wäre, könnte man ja an ein Wunder glauben. Des Nachts ist dem Alten eine Fee erschienen, die hat ihm den Rock aufgeknöpft und ihm kräftig den Marsch geblasen, bis alle Falten weg und er vom Hund an der Leine gezogen nach Draußen entschwebt wäre. Oder die Alte hat sich entblößt und wollte ihren Gemahl zum Vollzug animieren (wie sie es seit Anbeginn seines Dienstes allwöchentlich mindestens dreimal bei Sergej versucht - Sergej schüttelt diese Vorstellung ärgerlich von sich ab) und dieser konnte sich gerade noch rechtzeitig rückwärts in den Kamin retten, wo er dann mit den letzten Flammen gen Himmelreich entfloh. ( Nun muss Sergej doch breit grinsen.)
Mittlerweile ist Axel wieder bei ihm und nestelt nervös an der Paspel seines Wams. ¨ Wo zur Hölle könnte unser Herr stecken?¨
In diesem Moment verfinstert sich der Raum, als ob die schweren Damastvorhänge zugezogen würden, obwohl das Morgenrot immer noch ungehindert durch die Butzenscheiben dringt. Glöckchengeläut erklingt und tausende von klitzekleinen Fünkchen fallen von der Decke nahe des wackelnden Kronleuchters. Ein Windstoß bringt die Kerzen zum Flackern und ein markerschütternder Rülpser die Scheiben zum Klirren. Nebelschwaden wabern dort, wo sonst des ¨Alten Sack¨ Rollstuhl zu stehen pflegt.
Sergej atmet scharf ein. Alex krallt sich jämmerlich zitternd am Hosenbein seines Kollegen fest.
Langsam schält sich eine Figur aus dem Nebel heraus. Nach der wulstigen Schnauze mit zwei blutigen Hauern an den Seiten und den kleinen roten Äuglein darüber erscheinen rosa Flügel, die energisch den Rest des schneeweißen Borstenviehs freiwedeln. Das Ringelschwänzchen am Ende dreht sich, als wollte es ein U-Boot antreiben.
¨Neeee, die Eberfee! Nicht schon wieder die blöde Sau!¨ Kai klappt entnervt sein Laptop zu. Zum vierten Mal hat dieses Monster seine Figuren gefressen, bevor er den Grafen finden konnte. Irgendwann wird er dieses Scheißlevel doch endlich knacken. Wenn selbst Silvia, die doofe Nuss schon im nächsten ist. Echt peinlich!
¨Kahai - komm runter, Abendessen ist fertig!¨