Tonangeber und Vogelfreie

 

Es war einmal ein Pfau im Vogel-Reich, der genoss als Minister und Musenkuss das Vertrauen der Königin Nachtigal und ihrer Vasallen bei Hofe. Sein Rat in den Dingen des Scheins und der gekonnten Schnörkel war unübertroffen. So sollte er eigentlich froh sein und langsam immer weiser werden. Doch allzugern spreizte er seine Federn und zeigte sich dem Volke in allen Stellungen, die sein blendendes Schwanzgefieder nur annehmen konnte. Als nun die Nachtigal einmal krank wurde, weil ihr das ganze staatsfräuische Tirili die letzten Energiereserven geraubt hatte und sich zur Kur begab, war es nur logisch, dass der Pfau in ihrer Abwesenheit die Staatsgeschäfte übernahm. So hatte er nun Gelegenheit, sein Gefieder noch öfter zu spreizen und all den Dolen und Finken und Meisen zu zeigen, was ein stattlicher Vogel er doch sei. Als es ein kleiner frecher Spatz bei einer Audienz wagte zu fragen, warum denn kein Vogel Stellvertreter sei, der des Fliegens mächtiger sei, es gäbe ja durchaus Vögel, die zwar nicht mit ihrem Federkleid am Bürzel glänzten, aber dafür eine grössere Spannweite, einen längeren Schnabel oder Beine hätten, oder gar Vögel, die ausser Fliegen sogar schwimmen könnten und aus dem modrigem Schlamm mit widerlichem Geruch - der Pfau schüttelte sich angewidert und schloss für einen Moment seinen Fächer mit den vielen drohenden Augen, worauf auch andere Spatzen mutiger wurden und frech nach vorne flatterten - Enten, die sogar aus dem grünen Wasser des Dorfteichs noch schmackhafte Köstlichkeiten gründeln könnten und überhaupt....
Inzwischen hatte sich der Pfau wieder gefangen. Er spreizte seinen Fächer wieder und vertrieb mit seinen tausend drohenden Augen das vorwitzige Spatzenvolk. Und obwohl so manch Vogel der Spatzen Frage gar nicht so abwegig fand, erschraken auch sie ob des nun folgenden Schwalls an wenig eleganten Flüchen und Beschimpfungen des erzürnten Pfaus und blieben fortan dem Palast fern.
" Ihr elenden grauen Mäusekotpicker, ihr wagt es, einen Fürsten zu beleidigen? Etwas Demut stände euch besser zu Gefieder! Ich verbanne euch Kraft meines Amtes aus den königlichen Gefilden! Ihr sollt ab nun euer tristes Dasein auf staubigen Strassen und Feldern fristen."
Sie mieden das Schloss nicht etwa aus Angst. Kein Pfau, so erzürnt und erhrfurchtgebietend er auch auftrat, vermochte sie in ihren Nestern hoch oben in den Wipfeln der Bäume oder ihrem Felsenhorst zu stören. Nein, sie sahen einfach keinen Sinn darin, sich zwischen engen bedrückenden Mauern sinnlosen Diskussionen auszusetzen und ihre Flügel stillzuhalten. Sei der Palast auch noch so prächtig und das Gefieder der Würdenträger schillernd und bunt.
Ihre Sehnsucht lag in der rauhen Freiheit der Stürme und dem geheimnissvollen Rauschen der Blätter und ein schlichter Wurm mundete ihnen köstlicher denn jedes noch so aufwändig bereitete Festmahl unter den gestrengen Augen der Palastwächter.
So liessen sie den Pfau weiterhin mit geschwellter Brust durch den kunstvoll angelegten aber langweiligen und wenig nahrhaften Schlossgarten stolzieren und störten sich nicht daran.
Auch die Spatzen zwitscherten trotz der Zurechweisung weiterhin frech durch Flur und Feld und die Nachtigal, die den Ruf der Freiheit erkannt hatte, sang am Waldesrand majestätischer als je zuvor und ward im Schloss nur noch selten zu hören.

So ist das bei den Vögeln.
Wer nun meint, die ach so schlauen Menschen, die sich als Krone der Schöpfung verstehen, hätten dies schon längst erkannt oder es zumindest abgeschaut, der irrt fürchterlich.
Bei den flügellosen Zweibeinern will fast jeder Vogel weiterhin in den Palast und es dem Pfau gleichtun. Die Abgewiesenen bauen sich kleine Paläste und in regelmässigen Abständen rotten sie sich zusammen und stürmen sich gegenseitig unter lauten Gebrüll und Getöse ihre Schlösser.
Schauten sie stattdessen nur ab und an einmal nach oben, verliehem ihrem Geist die Flügel, die er sich ersehnt - wer weiß, vielleicht wollte es wenigstens der ein oder andere Pfau der Nachtigal oder den Spatzen gleichmachen.