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Paola

Nach fast vier Stunden genervter Fahrt mit dem Frecciarossa war ich heilfroh, als ich endlich in Paola aussteigen durfte. Ich hatte einmal wieder den Fehler begangen, zu versuchen, im Zug etwas zu buchen und zu bezahlen. Da meine  nächste  Unterkunft nach Paolo in Falcone, also in Sizilien liegt, musste ich mich neben den Zugverbindungen, die diesmal ohne Sitzreservierung sind, auch um die Überfahrt mit der Fähre nach Messina kümmern. Ich hätte mich vielleicht rechtzeitig daran erinnern sollen, dass Frecciarossas haupsächlich in Tunneln beheimatet sind und dort auch das zugeigene Wlan ausfällt. Wer weiß, vielleicht braucht es der Zug selbst, dass er sich damit wieder herausnavigieren kann oder er füttert damit die Jungen. Das sind dann diejenigen, die nach dem Schlüpfen noch nicht schnell genug auf den Gleisen sind und so für die Verspätungen  sorgen. Hatte ich schon erwähnt, dass wir in Deutschland auf hohem Niveau klagen? Das ist dann wohl der passende Bundeswahn zur Bundesbahn.


Jedenfalls klappte die Buchung - bis zur Bezahlung. Dann wurde Paypal nicht als Kreditkarte (???) akzeptiert, war nach dem nächsten Tunnel dann doch abgebucht und das irgendwann auftauchende Ticket mit der falschen Uhrzeit angegeben. Zum Glück kann man das auf der App, die ich nach einigen Tunneln nun auch hatte, ändern. Super! Doch die folgende Rülckmeldung nach Angabe der korrekten Zeit bekam die gleiche Meldung: Kreditkarte abgelehnt. Und noch drei mal nach 17 Tunneln. Hilfe gabs nur über einen Bot. Doch der hatte es in sich: Infos eingeben, etwas Pause. Link bekommen. Tunnelpause. Email der Fährgesellschaft: Bitte bewerten sie den Buchungsvorgang!. Kopfschütteln. Seite wechseln. Richtige Zeiten bestätigen und für andere Kreditkarte Daten eingeben. Tunnel. Fluchen. Tunnel. Tiiiief durchatmen! Zwischendurch fiel dazu noch immer in den Kurven der Riesenkoffer neben meinem Sitz von irgendeinem nicht anwesenden Reisenden um, den ich aufheben durfte und weswegen mich die Leute drumherum langsam alle böse anschauten. Ich häte ihn beim Aussteigen mitnehmen sollen, den Koffer und auf den Bahnsteig stellen. Nun schlecht, irgendwann waren die Daten korrekt eingegeben und der Bot versprach mir eine Email mit den neuen korrekten Zeiten auf dem Fährticket. Pling. Email da. Falsche Zeit. Tob! Knirsch. Wieder tiiief Luft holen und langsam ausatmen. Nicht mehr weiter wissen. Gerade anfangen wollen, den Bot im Chat wüst zu beschimfpen, plötzlich: Plopp! Email mit richtiger Zeit. Wieder ein Tunnel. Überprüfen in der App. Aufatmen! Zehn Minuten Meerblick. Dann fast direkt neben dem Strand: der Bahnhof Paola!


Mittlerweile hatte ich wirklich keinen Bock mehr auf Aufregen, deshalb nahm ich den Alpaufstieg bis zum Casa del Oleandro, 100 Meter über Meerespiegel, die gefühlt dreieinhalb Millionen  von Treppenstufen mit mittlerweile zusätzlich noch einer prall gefüllten Einkaufstasche (am nächsten Tag ist Sonntag!) stoisch hin und wurde bei der Ankuft mit einem grandiosen Anblick  belohnt. Das Vesper mit Meerblick vorm ins Bett fallen hatte ich mir redlich verdient!



Tagsüber ist es ruhig im Haus. Doch am Abend kommt Leben in die Bude über mir. Stöckelschuhe suchen verzweifelt einen Weg durchs Kachel- Labyrint und ein wütender Stier antwortet einer kreischenden Papageiendame. Wie es sich hier gehört, natürlich auf italienisch! Zum Glück; besser ich verstehe es nicht. Um zu schauen, wo es am besten hallt, durchpflügen die Schuhe, Papageien und Stiere alle Ecken der Wohnung. Mehrfach. Am nächsten Abend dann ist zusätzlich Besuch da. Was wie kurz vor einer Schlägerei klingt, ist wohl ein Fußballspiel in der Glotze und die verzweifelten Anfeuerungsrufe der Zuschauer über mir. Es muss auch der Fernseher sein, der noch bis zwei in der Nacht das Spiel weiter mit sich alleine analysiert und diskutiert, denn die Stimmen klingen zwar weniger laut aber wichtig und kommen immer von der gleichen Stelle links hinten, direkt über mir. 
So haben wohl italienische Nächte zu sein! Statt mich vorm Nicht-Einschlafen rumzuwälzen, nutze ich die Zeit, erst den Rom-Blog zu vollenden und dies hier zu schreiben. Am nächsten Morgen stellt sich mir der doch recht liebenswürdige Vermieter vor. Er war beim Einchecken nicht zuhause gewesen. Die Lautstärke in der Nacht war dem Fußballspiel zwischen Milano und Venedig geschuldet. Beim gemeinsamen Fußballschauen werden Kalabresen noch temperamentvoller als deutsche Fans. Kein Wunder, ich saß sozusagen am vorigen Abend direk im Stadion! Ich hätte sicher hochkommen dürfen udn mit Milano mitfiebern. 

Am Sonntag waren dann doch noch Geschäfte offen. (Nur Apotheken scheinen überwiegend  Sonntags geschlossen zu bleiben) Da das erste Lädchen recht nah zu meiner Unterkunft auftauchte, nutzte ich die Chance noch etwas einzukaufen. Wasser für den Rest der Zeit hier, etwas Brot, eine Dose Fisch und als Wichtigstes ein Waschmittel. Die Wohnung besitzt zu meiner Freude eine Waschmaschine. Langsam wird wieder die Wäsche knapp. Diese Chance musste ich nutzen!

Die Wäsche lief fast friedlich am nächsten Morgen. Fast friedlich, weil ich ein Steinchen in der Hosentasche vergessen hatte. Plingpling, zum Glück war es recht klein und keine Gefahr für das Glas. Nach der spätmorgendlichen Rodung meines Urwalds am Kinn, unter der Nase bis fast unter die Ohrläppchen, dem Schrubben und Polieren der vollständig runderneuerten, marmorweißen Ruinen im Mund des Alten vor mir im Spiegek und der überfälligen Versorgung einer Yoghurtlieferung Richtung Verdauungs-Katakomben hinter diese Ruinen war die fleißige Maschine fertig und der Wäscheständer wartete schon ungeduldig auf diejenigen Kleidgenossen, die nun nass und schlapp aus dem Wasser kamen und jetzt stundenlang ungestört in der Sonne abhängen durften.  


Dann ging es schnurstracks zuerst die Hauptstrasse entlang runter in die Stadtmitte. Vorbei an einer heute offenen Apotheke, die vor ihrem Eingang zwei große Automaten mit Präservativen, Dilden (Dildi, Dildos?) und weitere spezielle Spielzeuge stehen hat. Es muss hier wohl einen großen Bedarf für solche Ware geben. 

Auf dem zentralen Platz ist die Bar Centro und dort frühstückt unter Sonnenschirmen wohl Sonntags die halbe Stadt. Auch ich gönne mir mein Gedeck aus Espresso, Brioche und frisch gepresstem Orangensaft. Immer noch bin ich über die günstigen Preise erstaunt: 5. 70€! Daflr wülrde ich zuhause nicht einmal den Saft bekommen!


Danach war der erste Strandbesuch dran. Weiter bergab, am Bahnhof vorbei, die dröhnende Unterführung durch (ein Frecciarossa brauste drüber) und drin die unzähligen beleuchteten Bildnisse des heiligen Franziskus von Paola bestaunt. Dessen Bild hängt im irgendeiner Form an jedem Haus. An jeder Ecke steht eine Statue von ihm und immer hat er frische Blumensträuße mit bunten Banderolen in der Armbeuge. In zwei Gotteshäuser, bzw. deiesem Stadtheiligen gewidmeten Kirchen durfte ich rein, doch Google-Maps meldete meine dort aufgenommenen Bilder als abgewiesen.

 

Dafür wurde mein Orts-Vorschlag für die längste Treppe Paolas, La Scalinata  angenommen. An deren Ende ist ein Park mit vielen Bänke und man hat einen tollen Blick auf Paola Marina und das Meer. Bilder von Treppe und Park habt ihr schon ganz oben bewundern dürfen.

 Diesmal fand ich den Rückweg durch die verwinkelten Gassen und Treppen der Oberstadt erstmals ohne Navihilfe (die Hauptstrasse geht mit einigen Windungen weit, weit aussenrum)  und durfte noch bei Sonnenschein zu Abend essen und in meinem im Bahnhof Roms gekauften Buch weiterlesen. Schneller war ich nun auch nicht zuhause, denn ülberall riefen entzückende Aussichten: "Mache ein Bild von mir! Ich habe doch keinen Selfiestick!" Den Gefallen tat ich ihnen nur allzu gerne. Doch manchmal war mir dabei etwas komisch zumute. Denn einige der Rufer sahen schon sehr mitgenommen und ärmlich aus und etwas wie Scham regte sich in mir. 

Bin ich so nicht auch ein Voyeur? Einer derjenigen, die beim Anblick solcher pittoresken Schönheit im Urlaub von der Ursprünglichkeit, dem einfachen Leben, der Romantik ins Schwärmen kommen und daheim auf den Reiz des Einfachen gerne und ganz schnell wieder verzichten können? Werde ich auf diese Weise mit den Bildern nicht zum versteckten Dealer für schnell wieder verdrängte Sehnsüchte? Einer von jenen, die in jede nur erreichbare Gasse, jede Ritze klettern und idealisiere Armut ans Licht zerren? Vergessen werden allzuoft die Menschen, für die bröckelnde Häuser und nervende Touristenhorden in der Saison der Alltag sind. 


In diesem Zusammenhang kann ich wiederum gut verstehen, wenn Fotos aus Gotteshäusern nicht unbedingt ins Internet wollen! 


Aber deshalb bin ich mit dem Zug statt dem Flieger oder Auto und eben nicht in der Haupt-Saison unterwegs. Und natürlich habe ich die meiste Zeit meines Lebens auch in eher einfacheren Verhältnissen gelebt. Aus Überzeugung! In meinem Falle halt freiwillig und selbst gewählt. Das ist doch ein Unterschied.


Wie auch die Entscheidung alleine zu reisen dazu führt, so ab und an mit dem Gefülhl von Einsamkeit konfrontiert zu werden. Oft kommt es nicht vor, da es täglich soviel Schönes um mich herum zu entdecken gibt. Ich spüren es meist, nachdem ich mit Jemand Kontakt hatte und ein paar freundliche Worte und ein Lächeln mit der Person geteilt habe. Danach merke ich, dass ich gerne die Schönheit mit jemand Lebendigen sofort und live teilen würde und nicht nur über Tasten in die Welt schicken. Doch das Gefühl geht vorüber und irgendwie kommt mir meine Reise auch wie eine persönliche Wallfahrt vor. Keine auf ausgetretenen Pfaden, die man  in irgendwelchen Führern finden kann, sondern eine ganz eigene. Denn ich wurde und werde immer wieder durch kleine Synchronizitäten sanft darauf hingewiesen, dass ich jetzt genau hier richtig bin. Und dass ich auch gefälligst im Hier und Jetzt bleiben soll, statt wie sonst rund um die Uhr Alles und natürlich auch mich zu hinterfagen und anzuzweifeln. 


Zurück zu Paola. Gerne hätte ich auch einen Ausflug per Bus in die Umgebung gemacht, doch am Wartehäuschen in der Stadtmitte und an der Info ein paar Meter weiter konnte ich keine verlässlichen Abfahrts- oder Ankunftszeiten finden. Auch im Internet gab es keine Informationen, ob und wann, an welchen Tagen oder an welchen nicht, irgendein Bus irgendwohin fährt. Nach Cosenza gibt es eine Zugverbindung. Nur wollte ich nicht schon wieder in eine größere Stadt. Also erkundete ich weiter die pittoresken Gässchen vom schönen Paola und saß meditierend in einer der Kirchen oder einem der vielen kleinen Plätzchen zwischen den Treppenaufgängen. Überall stehen Bänke, auf denen man sich auf dem beschwerlichen Marsch nach oben ausruhen kann. 


Meine Bilder geben sicher eine Ahnung davon!


So war es auch kein Wunder, dass ich am Abreistag mein Gepäck fast ohne Umwege zwar über viele Stufen aber auf nahezu kerzengeradem Weg zum Bahnhof tragen konnte und dort noch über eine Stunde Zeit hatte, bis der Regionalzug nach Villa St.Giovanni kam und mich Richtung Sizilien mitnahm.


Die Buchung der Überfahrt schien ja schon erledigt (man erinnere sich an meinen letztn Blogartikel)! Also saß ich guter Dinge im fast leeren Zug am Fenster und genoß die lohnende Aussicht. Die Strecke führt zwischen den obligatorischen Tunneln immer wieder direkt am Ufer entlang! Wie und warum ich bei dem Überfahrtsticket "schien" schrieb, wird im Blogartikel über Falcone verraten.


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