Gewürm
Domino Dümpeldick, kratzbürstiger Zylinderträger von Zirkusdirektors Gnaden und am Eingang zum ewig freundlich lächelnden Bückling verdammt, hätte lieber gestern als
morgen den Fisch gemacht. Denn durch die vielen Bücklinge vor Gewürm war es sehr schwer geworden, sich wenigstens ab und an als Hecht im Hühnerhof - äh, als Hahn im Karpfenteich - oder irgendwas
in der Art zu fühlen. Manchmal fühlte er sich schon so klein und ausgeliefert wie ein Wurm. Durch die Übergröße des Zylinders sogar noch winziger. So mikrig wie er sich fühlte, würde ihn nicht
einmal mehr ein Angler an den Haken hängen.
Die Arbeit als Clown half ihm da auch nicht unbedingt weiter. Auch dort durfte er sich zum Narren machen und das Volk lachte über ihn. An so manchem Abend wünschte
er sich in seiner Koje im Wagen unter die Erde. Dorthin, wo sich Würmer wohlfühlten und - natürlich außer auf dem Hühnerhof - in Ruhe gelassen wurden. Und selbst, wenn ihn irgendwann ein Messer
oder ein Spaten in der Mitte durchschnitte, wäre es kein Schaden. Eher noch eine Lösung. Denn dann wären sie zu zweit und er hätte endlich jemanden, der genau wüsste, was in ihm vorgeht und mit
dem er sich auf Augenhöhe unterhalten könnte.
Das ledige Frauenthema wäre dann auch ad acta gelegt und diese blöde Schnepfe Rosa Ludmilla Stöckelzeh-Spitznagel, die Ballaballerina könnte ihm endgültig gestohlen
bleiben! Es wäre ihm dann aber auch sooooowas von sch...egal, dass sie Abend für Abend direkt vor seiner roten Knollennase anmutig wie eine Feder durch die Manege schwebte und ihn dabei
anlächelte, als ob er ihr Ein und Alles wäre, nur um ihn dann nach der Vorstellung wieder keines Blickes zu würdigen. Natürlich nicht, ohne in der Garderobe direkt nachdem er die Clownsnase
abgenommen hatte, so nah an ihm vorbeizsutreichen, dass er auch ganz sicher ihren verführerischen, zuckersüßen Mandel- und Vanilleduft noch mindestens die halbe Nacht zu riechen vermochte.
Beziehungsweise gar nicht mochte, aber mit ihm die Verlockung und Ablehnung bis in den verzweifelten Schlaf nahm.
Wenn er es nicht schaffte, seine Sehnsucht und Enttäuschung gut genug zu verstecken, wenn seine Gesichtszüge nach der Vorstellung freigelassen endlich einmal
entgleisen dürfen wollten, dann konnte er sicher sein, dass er alsbald als Zugabe ihr helles Lachen neben dem Baritongewitter des Messerwerfers vernehmen durfte.
Wen also nimmt es Wunder, dass Domino lieber Wurm als Clown zu sein wünscht?